Heute war mal wieder
Abreisetag, denn Tom, Natalie und Luke mußten uns (schon) wieder verlassen
- wie schnell doch eine Woche vergeht! Jetzt sind wir nur noch sechs
Musketiere, die die Julia die letzte Woche heim nach Vilamoura schippern....
Jedenfalls wollte der Rest
der Crew den Tag für die Besichtung von Faro nutzen, schließlich konnten
wir den Tag aufgrund der unterschiedlichen Abfahrts- bzw. Flugzeiten für
keinen Segelschlag mehr nutzen. Also auf in die Altstadt - und nach einer
Stunde waren wir fertig. Hmm. Die Altstadt war bei genauerer Inspektion nur
so groß wie ein Fußballfeld, die Kirchen und Museen waren alle
geschlossen. OK, dann eben Shopping, schließlich sind wir ja in DER
Tourismusgegend Portugals, da wird man wohl konsumorientiert sein. Aber
wieder Fehlanzeige - verkauft wurde heute nix von niemandem,
schließlich war es ja Sonntag. Wir hatten schon Schwierigkeiten genug,
EINEN geöffneten Kiosk zu finden - daß der uns auch noch eine
tagesaktuelle FAZ verkaufen konnte, war eigentlich schon der Höhepunkt des
Tages. Verschlimmernd kam hinzu, daß die
Stadt total tot war - die Einheimischen schauten wohl alle im Wohnzimmer
Fußball und die Touris waren alle am Strand, auch vor dem Fernseher oder
auf dem Weg zum, vom oder im Flieger. Es
bot sich eigentlich nur noch der Rückzug zum Boot an, aber ausgerechnet
heute ist das Bier alle... Grrrr.
Aber wollen wir Faro nicht zu
sehr Unrecht tun, denn immerhin haben wir heute mehr Störche und
Storchennester gesehen, als unsere Freunde in der letzten Zeit Kinder
bekommen haben. BTW, John, hat sich Meister Adebar eigentlich arg mit den
Tauben vor eurem Schlafzimmerfenster prügeln müssen?
Da der Tag außer zunehmendem
Wind und einem hervorragenden Abendessen nichts mehr zu bieten hatte, sei
hier unserer Abschiedsstimmung entsprechend noch ein in den letzten Tagen
entstandenes Werk unseres Bordliteraten Markus veröffentlicht. Herr
Schirrmacher hatte diesmal nichts gegen den Vorabdruck.....
Abends,
wenn Traurigkeit nachhallt, gib ihr meine Stimme
Fado in Lissabon
Die
anderen hatten sich gerade verabschiedet, um zum Schiff zurückzukehren. Uns
war noch nicht nach Schlaf, daher beschlossen wir, in den Gassen von
Lissabon nach einer netten Gelegenheit für unseren allabendlichen
Schlaftrunk zu suchen. Die Stadt war noch hellwach, Menschengruppen standen
vor kleinen Bars, hatten das übliche Getränk, Cerveca, in ihren Gläsern
und wollten nicht nach Hause gehen. Die Mauern, die links und rechts in den
mondlosen Abend ragten, waren durchbrochen vom Widerschein aus kleinen
Fenstern, hin und wieder flackerte das fahle Licht eines Fernsehers und
erhellte die gegenüberliegende Seite mit blau-bunten Reflexen.
Uns
beflügelte die Energie, die wir in einer Tequila-Bar aufgesogen hatten,
gesteigert durch die deftige Küche eines kleinen Restaurants und
ausreichend Alkohol, wie er im Vinho Verde zu finden ist. Untergehakt
schritten wir mit festen Schritten aus, das Geklapper hochhackiger Schuhe
begleitete uns, hallte uns voraus wie ein Herold, der unsere frohe Laune
allen mitzuteilen hatte, die unseren Weg kreuzten. Bettler, die unseren Weg
säumten, beachteten wir keines Blickes, unsere Grausamkeit war für uns
nicht wahrnehmbar.
Die
erste Bar, die wir betraten, war allem Anschein nach von jungen Leuten
besucht, die wir früher „Ökos“ nannten. Weite Hosen, Nickelbrille,
ungeordnete Haare, all das schien einheitliche Uniform der Anwesenden. An
einem Tisch war ein Kuchen aufgeschnitten, Brösel über den ganzen Tisch
verstreut. An einem anderen Tisch wurde lautstark diskutiert, anscheinend
ein politisches Thema, weil immer wieder Namen von portugiesischen
Politikern fielen. Wir hielten uns dort nicht lange auf, bestellten nur ein
Bier und bewunderten die Spieler am Tischfußball zu unserer Linken.
Anschließend
zogen wir weiter, vorbei an lauter Musik, die aus geöffneten Türen und
Fenstern der Bars auf die Straßen drang. In einer engen Gasse dann kamen
wir an einem Haus vorbei, das irgendwie ungewöhnlich wirkte. Weißgetünchte
Wände hoben sich vom Nachthimmel ab und wirkten frisch und neu gegen die
graubraunen Nachbarhäuser. Ein Mann stand in der leichtgeöffneten Tür. Er
winkte uns zu sich, als wir aus Neugier durch eines der Fenster schauten.
Wir
folgten seinem Winken ebenso wie seinem Aufruf zum Schweigen, zu Ausdruck
gebracht mit einem an die Lippen gelegten Finger und einem kurzen Zischlaut.
Dunkelheit umfing uns, als wir in den rauchgeschwängerten Raum hinter der Tür
traten. Der Klang zweier Gitarren vermischte sich mit dem Gesang einer männlichen
Stimme. Portugiesische Wortfetzen drangen an unsere Ohren. Als Jonna in den
Raum trat, fingen die Gaste lauthals zu lachen an. Wie wir später merkten,
hatte das nichts mit ihr persönlich zu tun; der Fado-Sänger, ein Mann
mittleren Alters mit grauen Locken und der Brille im Haar wie Fürstin
Gracia Patricia, hatte den Text seines Liedes spontan so abgeändert, daß
Jonna im Mittelpunkt seiner Agierens stand. Als ich hinter Jonna trat,
wandte er sich mir zu, sang, ohne inne zu halten, etwas mit Bezug auf mich.
Erneutes schallendes Lachen des Publikums war die Folge. Uns blieb nichts übrig,
als unwissend zu lächeln und zu hoffen, daß der Spot, dem wir ausgesetzt
waren, nicht zu ehrenrührig war. Am Ende des Liedes, einige Lacher waren
noch auf unsere Kosten gemacht, verbeugte sich der Sänger vor Jonna, gab
ihr einen vornehmen Handkuß, um mir anschließend die Hand zu reichen.
Auf
diese Weise bestätigt, daß wir nicht ganz der Lächerlichkeit preisgegeben
waren, gingen wir bis zur Bar in den hinteren Bereich durch und bestellten
uns ein paar Bier. Von dieser Position aus konnten wir den kleinen Raum überblicken.
Die Wände waren mit unzähligen Porträts und Fotografien von Männern und
Frauen mit sehr ernstem Blick behangen. An der Stirnseite des Raums hingen
gar einige zersplitterte oder gebrochene „guitarras“ wie Jagdtrophäen
von der Decke.
Als
das Geklatsche abebbte und langsam wieder Ruhe einkehrte, stand ein älterer
Mann auf und stellte sich in die Mitte. Zustimmendes Gemurmel breitete sich
aus, er schien bekannt zu sein. Mit seinem dunklen Anzug und seiner
feierlichen Miene wirkte er wie ein Priester bei einer Beerdigung. Mit dem
uns bereits bekannten „psssst“ forderte das Mädchen hinter der Bar das
Publikum zum Schweigen auf. Kaum war völlige Stille eingekehrt, vernahmen
wir den Klang von Gitarren. Konzentriert spielten zwei, ebenfalls feierlich
angezogene Männer, ihre Seiteninstrumente, eine Gitarre und die etwas
bauchigere, einer Mandoline ähnliche Guitarra mit ihren 12 Saiten.
Insbesondere auf ihr konnten wir die Melodie des Liedes hören, das der „Fadista“
anstimmte. Sehr getragen, mit ruhiger Stimme und ganz in den Text seines
Liedes versunken, sang er wohl von untergegangenen Schiffen, verlorener
Liebe und dem Salz der Tränen, die das Meer benetzten. Diese Bilder formten
sich in meinen Gedanken, je mehr ich mich der Melodie und den weichen
portugiesischen Worten hingab:
Die
Tränen stammten aus den grünen Augen von Juliana Severais und galten dem
Andenken ihres Geliebten, Frederico De Freitas, einem trotz seines feinen
Namens in Armut lebenden Fischers. Juliana lebte bei ihrem Großvater, da
ihre Mutter bei ihrer Geburt und ihr Vater vor einigen Jahren auf See
umgekommen waren. Frederico war ebenfalls Waise. Er fischte mit dem Bruder
seines Vater, um sich so seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Von großer
Gestalt, war sein wichtigstes Merkmal sein blond-weißes Haar und seine
tiefblauen Augen. Er war, wie jedes Jahr zu Frühlingsbeginn, aufs Meer
hinausgefahren, um Bacalhau zu fischen. Im vergangenen Winter hatten sich
Juliane und Frederico gefunden und vor seiner Abreise ewige Liebe
geschworen. Um ihre Angst zu beruhigen, hatte er ihr bei seiner Abreise
gesagt, daß ihm niemals auf hoher See etwas passieren kann, da sein weißes
Haar von Seejungfrauen verzaubert sei. Im Verlauf des Sommers aber bekam
Juliana neben den ersten Anzeichen einer Schwangerschaft auch ein schwermütiges
Gefühl. Dieses Gefühl verdichtete sich mit jedem Abend, wenn die Sonne
unterging, mehr und mehr, bis sie im Herbst kurz vor Rückkehr der Fischer
ganz sicher wußte, daß ihr Frederico nicht mehr lebte. Als die
Fischerboote dann im Oktober, als die ersten Bäume sich gelb färbten, am
Horizont auftauchten und wenig später in den Hafen des kleinen Fischerdörfchens
einliefen, in dem Juliane lebte, wurde ihre Furcht zur Gewißheit. Frederico
war über Bord gegangen, als eines Nachts die Netze nur so überquollen vor
Kabeljau. Eines dieser Netze riß und er wurde von herausberstenden Fischen
über Bord gerissen und von da an nimmer mehr gesehen. Im Winter dann
brachte Juliana eine Tochter zur Welt, deren Haar ganz weiß war vom Kummer
ihrer Mutter. Seitdem sitzt Juliana jeden Abend am Strand, sieht auf das
Meer hinaus und sucht das Haar ihres Geliebten in der weißen Gischt. Dann
fließen ihre Tränen und vereinen sich mit den Tränen des Meeres zum
Klagegesang der jungen Witwe.
Es
war faszinierend anzusehen, wie die Zuhörer hingebungsvoll lauschten, hin
und wieder leicht mit dem Kopf nickten, als wollten sie ausdrücken, daß
dieser Satz oder jene Wendung ganz besonders hervorragend dargebracht worden
waren.
Unter
viel Applaus ging der Fadista, nachdem er noch zwei weitere Lieder
vorgetragen hatte, an seinen Platz zurück.
Kleine
Anmerkung des Autors für seine Leser: Der Abend in der Fado-Kneipe war so
ungewöhnlich, un-touristisch und gefangennehmend, daß er (der Autor) genau
diese Eindrücke vermitteln wollte. Jetzt aber, am Navigationstisch der
Segeljacht sitzend, die ihn nach Lissabon und andere portugiesische Hafenstädtchen
gebracht hatte und am Laptop schreibend, merkt er die Unmöglichkeit seines
Tuns. Durch die Lage in der Einflugschneise des Flughafens von Faro (heißt:
alle fünf Minuten die Unterseite eines Jets wie die verletzliche Bauchseite
eines Fisches kurz vor der Entnahme der Innereien in hundert Meter Höhe
sehen zu müssen und LÄRM, LÄRM, LÄRM ertragen zu müssen) steht er vor
der Wahl: später weiter zu dichten oder zu akzeptieren, daß er heute nicht
mehr in den Fado-Modus kommt, was zwangsläufig in weniger romantische
Schreiberei über Musik, Wehmut und Abschied enden muß).
An
seine Stelle trat eine Frau mittleren Alters in einem weißen Kleid mit
dunklem Blumenmuster. Waren die bisherigen Fados traurig, wehmütig und
melancholisch, so erwartete uns jetzt eine Folge von Liedern, die selbst
taubstumme Grottenolme zum Weinen bringen konnte (und die wissen sehr wohl,
was Wehmut ist). Wir vernahmen die Mutter aller traurigen Arien, das tiefste
Tal der Tränen, das einem Ohr gewahr werden kann. Hervorzuheben ist die
minimalistische Gestik (von Mimik wollen wir gar nicht anfangen) unserer Sängerin.
Mit leichten Positionsveränderungen ihrer Handknöchel konnte sie mehr
aussagen als Roland Kaiser mit all seiner Gestik und Fummelei. Drei Lieder
lang glitten wir auf dieser Traurigkeit dahin (ich will nicht respektlos
sein, es war zwar tief trübsinnig, aber auch wunderschön).
In
der nachfolgenden Pause erläuterte uns einer der Gäste in hervorragendem
Englisch, welcher der Anwesenden Sänger, Profi-Sänger oder einfach nur
Gast war. Auf die Frage, ob er nicht auch singen möge, schüttelte er nur
lachend den Kopf und meinte, er könne so etwas nicht.
Am
Tisch der eben abgetretenen Sängerin saß auch ein junger Bursche,
vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt. Er war mir vorhin schon
aufgefallen, weil er die Sängerin immer wieder mit Stolz betrachtete. Ich
nahm an, daß sie seine Mutter und er begeistert von ihrer Darbringung war.
Sohn oder Geliebter; als sie saß und klar war, daß jemand Neuer in die
Mitte mußte, wer sprang da auf? Eben jener Jüngling. Handkuß zur Mutter,
schnurstracks zu den Guitarristas, ein paar Worte gewechselt, wohl bezüglich
der zu spielenden Akkorde oder der Tempi, und da stand er inmitten der Gäste
und wartete auf das Einsetzen der Musik. Mit ähnlich minimalistischer Geste
(die Gene lassen grüßen) erzählte er dann mit einer Stimme, die tief und
klar war, von zerborstenen Herzen, ermordeten Liebhabern, vereinsamten
Geliebten und einer Welt, die ohne Liebe gefühllos, aber mit ihr grausam
war.
So
ging es dann viele Bierchen weiter, neue Gäste standen auf und sangen zwei
oder drei Lieder, mal melancholisch, mal lustig, immer aber sehr ernsthaft
und immer von den Zuhörern begeistert aufgenommen. Auch der Mann, der uns
einige Hintergründe erläutert hatte und sich so kategorisch dem Singen
verweigerte, mußte noch auf die Gesangsfläche. Der Höhepunkt aber kam,
als wie die Bar drei Stunden später verließen. Wir wollten uns aus der
kleinen Gasse herausbewegen, um an einer größeren Straße ein Taxi zu
finden, als einer der Fadosänger, der sich gerade vor der Tür bei einer
Zigarette von seiner Einlage erholte, hinterher rief: „Taxi?“. Er war in
der tat Taxifahrer, sein Auto parkte direkt vor der Tür. Begeistert von der
Einfachheit, einen Weg nach Hause zu finden und von der Vorstellung, auch im
Taxi noch live Fado vorgetragen zu bekommen, stiegen wir ein.
Aber
außer dem hiesigen Popsender bekamen wir musikalisch nichts geboten, ein
Fadista singt nur in entsprechende Umgebung. Schön war’s trotzdem.
Lissabon,
2002
prolog@literaturlounge.de
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