Da stand ich nun, an einem romantisch verschneiten Freitag abend im Januar 2002 auf dem Rollfeld "Flughafen Kiel“, auf dem mich Cimber Air mit einer Aerospatiale TurboProp sicher abgesetzt hatte.

Suchend schaute ich mich in alle Richtungen nach dem Bus um, der mich zum Terminal bringen sollte und staunte nach einem 180° Schwenk links nicht schlecht - ich stand schon direkt vor dem Terminal. Der Pilot war so freundlich, uns direkt vor die Ankunftshalle (und zugleich Abflugshalle) zu taxieren... Schon cool, die hier oben im Norden.

In den eigens von Sixt mit Notgebühr (!) und Zustellgebühr (!!) angelieferten Wagen gesprungen, und den eigens mit riesigem (!!!) Mailaufwand bestellten Navigationscomputer eingeschaltet, war eine einzige Bewegung. Und dann die Überraschung: "Bitte CD einlegen". Na toll. Und wie sollte ich denn nun im verschneiten Schleswig-Holstein das nette Städtchen Bornholm finden, in dem Ulis Mutter sicher schon mit einem warmen Grog auf mich warten würde? Ach - Moment mal, Uli hatte mir doch letztes Jahr schon eine Mail geschrieben mit der Anfahrtsskizze... Nun, dann eben Notebook hochfahren (Halten die empfindlichen Platinen diese tiefen Temperaturen wohl aus?) und manuell navigieren - geht ja auch.  

Trotz verschneiter Strassen, Nebel und Eis kam ich sicher gegen 22:00 Uhr bei Frau Schroers an. Ein nettes Außenlicht bot leuchtfeuerartig hinreichend Sicherheit und der vorher telefonisch erfolgte Hinweis von Frau Schroers, "Bitte unbedingt die untere Klingel nutzen" fiel mir gerade noch in dem Moment ein, als sich der Zeigefinger schon auf die äußere obere Bedienstelle der Hausglocke senkte.

Frau Schroers empfing mich direkt mit einem so herzlichen Lächeln, daß mir gleich ganz warm um die Seele wurde. Als sie dann auch noch ein kühles Jever auf den Tisch stellte, inkl. eines schelmischen Lächelns um die Augen, "Das ist aus Ulrichs Bestand...", war alles klar. Das würde ein schönes Wochenende werden. Nach einem langen und diskussionsreichen Abend mit interessanten Themen wie "Sie haben doch auch eine Ärztin an Bord?" oder "Was machen Sie eigentlich bei Sturm?“, waren die Unwetter mütterlicher Besorgnis aus dem Weg geräumt und ich fühlte mich gestählt, es nun auch mit den schweren Dieselmotoren aufzunehmen.

Früh ging es am Samstag morgen los, aber erst nach einem von Frau Schroers toll zubereitetem Frühstück (inkl. frisch und von Hand !! gepreßtem Orangensaft - im Winter!!!) Richtung Kieler Olympiazentrum zur Europa-Zentrale von Volvo-Penta, zum ultimativen Schrauberkurs, zum Herrn des weißen, blauen und schwarzen Rauches, zu Peter Walusch (www.motorgutachter.de).

Da saß die Gemeinschaft der zukünftigen Ölfinger also am frühen Samstagmorgen zusammen im Seminarraum. Viele Eigner (m/w) und einige Charterer (m/w) harrten der Dinge, die da kommen mochten. Und die kamen dann auch: Gleich zu Beginn gab Hr. Walusch die Marschroute aus - erster Tag Theorie von morgens bis abends. Das hieß für uns knüppeln und studieren -  lernen der Funktionen, Varianten, Einsatzmöglichkeiten unterschiedlicher Propeller, Werkzeuge, Motoren, Öle, Additive, nützliche Does & tödliche Don’ts usw. usw. Am Sonntag - so wurden wir vorbereitet - gebe es dann kein Schmusi-Schmusi mehr, da müßten alle ran an den Speck bzw. Diesel - natürlich auch die Damen.  

Also folgten wir begierig den Erläuterungen unseres "Sachverständigen“ zum ersten Thema Propellersteigung, Durchmesser und Durchschnitt. Sehr interessant zu hören, daß 80% aller Bootseigner mit einem Prop falscher Steigung fahren. Und damit die "bezahlten“ PS gar nicht nutzen können. Und dann kam der Gruppeneffekt - "Aber das merken wir doch gar nicht im normalen Betrieb“. "Genau“. "Sehr Richtig“. "Das wird doch alles übertrieben“. "So ein Schnack“. "Wir sind schließlich Segler und keine Motorbootf.....“ .  "und überhaupt“!!!! Nun, schnell unterbrach unser Lehrer diesen hochinteressanten, gruppendynamischen Prozeß und fragte mal vorsichtig, "..wie es denn Elbe aufwärts mit Wind von vorne usw. wäre“. Betretenes Schweigen in der Runde gestandener Seebären und Seebärinnen. "Tjaha“, traute sich dann eine Dame zu bemerken, "vielleicht haben Sie recht und wir sollten doch ein bißchen darüber nachdenken...“!

Da ich die Elbe noch nicht so kenne, habe ich mir das Ganze auf unseren Atlantik-Törn projiziert - und war auf einmal ganz froh, diese Feinheiten nun auch gelernt zu haben. Es wurde klar: offensichtlich liegt es oftmals nur an der richtigen Erklärung, um einzusehen, daß die bisherigen Eigner- (und Charter) Muster "das muß halt so sein" eben doch nicht sein müssen. Also ein interner Vermerk für die nächste Schiffsübernahme: Boot vollstauen, Einkäufe machen, Wasser und Diesel bunkern, alle Mann (und Frau) an Bord, und dann ein Vollasttest unter Motor: Wird die Nenndrehzahl erreicht? Oder fehlen uns ein paar hundert Umdrehungen und damit PS und Vortrieb? Schau’n mer mal.

Nach einigen weiteren hilfreichen Worten zur richtigen Propellerwahl schwenkten wir auf die Technik der "Fremdzünder“ um, also Außenbordmotoren.  

Ha-ha! NUN war ich in meinem Element. Außenborder und ich - ich und Außenborder, meine heimliche Liebe. Diese knuffeligen, knatternden und niemals richtig funktionierenden Gesellen und trotzdem treuen Freunde zahlreicher Dhingi-Ausflüge und Versorgungsfahrten. Wir wurden endlich endlich in die elementaren Verhaltensweisen und Befindlichkeiten dieser Spezies der Gattung "Spritvernichtungsmaschine“ eingeweiht, von Fehlersuche (90% aller Fehler liegen im Umfeld des Motors) und - Diagnostik bis zu Hinweisen zu Problembehebungsmaßnahmen und neuen Fachwörtern ("Kraftkopf“, "Marinisiert“) war alles dabei, was es Wissenswertes zu diesem Fachgebiet gibt. Kostprobe aus dem wahren Leben: Der Außenborder hat seinen Namen zu wörtlich genommen und ist seiner Namensbestimmung folgend nach außenbords - also in den Teich - gegangen. "Falls er nicht lief und noch an der Sorgeleine hängt, gibt es eine richtig gute Chance, den Kollegen wiederzubeleben“, so dozierte lässig unser Lehrer - und wir waren sprachlos. Als er uns systematisch erklärte, was zu dieser Wiederbelebung zu tun sei, dachten wir auch alle "OK, ist ja easy“. Aber dann Szenario 2: "Der AB lag ‚ne Stunde auf Grund und so langsam verteilt sich schöner weißer Karibiksand im Verbrennungsraum, bevor Ihr in bergen konntet“. Natürlich ist in diesem Szenario Samstag und "natürlich hat keine Werkstatt auf“. Der Experten-Tip: "Na, dann schmeißt Ihr ihn wieder ins Wasser. Aber das müßt Ihr dann erst mal Eurem Stegnachbarn erklären“.

Der Trick an der Sache ist, den Motor vor der Korrosion zu schützen. Und da ist Wasser ohne Luft halt besser als die Kombination Salzwasser, Metall, Luft. Alles klar!! Wußten wir ja eigentlich schon aus der Schule. Aber die richtige Konsequenz - und damit Handlungsweise wäre uns im Leben nicht eingefallen. Hmm.  

Anschließend erhielten wir noch viele Tips zu richtiger Konservierung und Winterlagerfestigkeit, dann wandte sich das Thema den "richtigen“ Schiffsmotoren zu, den wahren Herzen unserer windbetriebenen Hobbymaschinen Gattung "Selbstzünder“: den Innenbordmaschinen - den Schiffsdieseln. Nachdem unser Lehrer die EignerInnen unter uns nach Ihren an Bord befindlichen Jockeln befragt hatte, konnte er gleich mit 2 der verwendeten Modelle (beide aus dem Hause Volvo-Penta) aufwarten, so daß die Vorfreude auf Sonntag bei den betroffenen Kameraden um ein beträchtliches Maß anstieg. Für diese Gruppe, wie auch für den interessierten Rest der Mannschaft, gab es nun eine anschauliche "Trockenübung“ zum Thema Filterwechsel, die uns nur deswegen zum Lachen brachte, da wir uns Mike Python gleich in die Situation sehr gut hineinversetzen konnten (man muß an dieser Stelle bemerken, daß Herrn Walusch ein gewisses schauspielerisches Talent nicht abzusprechen ist). Ähnlich interessant und lehrreich waren die Kommentare und der Trick17 zum Entlüften ("Wenn die Leute das nicht wissen, sieht man am nächsten Tag die gesamte Crew mit bepflasterten Daumen durch die Marina wandern“). Kommentar eines Teilnehmers "Hmm, na ja, ich habe das auch erst vor zwei Jahren herausbekommen“. Der Herr hatte schon seeehr graues Haar.... Verständnisvolles Schmunzeln in der Runde.

So ging es dann über den Nachmittag weiter mit vielen guten Ratschlägen, Erläuterungen und den für alte erfahrene Hasen typischen "Workarounds“ und "Best Practices“. Wir konnten die Funktionen von Thermostaten nachvollziehen und in der topausgerüsteten Werkstatt feststellen, daß wir wohl niemals das richtige Werkzeug an Bord haben würden. So verging der Nachmittag wie im Fluge und mit dem Hinweis, für Sonntag ein Care Paket zu packen, da "wir durchmachen würden“ entließ uns unser MM ("Mechanical Master“) in den Samstag abend.

Dann kam also der Sonntag morgen - DER Schrauber-Tag. Ziel: Zylinderkopfdichtung wechseln und alle abgeschraubten Teile hinterher wieder an ihren ursprünglichen Platz bringen, ohne am Ende irgendwelche Teile übrig zu haben. Herr Walusch half uns noch mit dem Bereitlegen des richtigen Werkzeuges (vieles aus seinem gerade in den USA erworbenen Privatbesitz) und los ging es. Alle Mann und Frau gleichmäßig um die zwei Motoren verteilen und gleich das erste Fragezeichen. "Wie - und vor allem WO - fang' ich eigentlich an“, diese Frage stand uns allen deutlich in die Gesichter geschrieben. Auf einmal waren die am Samstag auf den Folien noch ganz einfach und deutlich erscheinenden Fakten der brutalen Realität des Praxiseinsatzes gewichen. Aber keine Panik, für die eine "Crew“ gab es ein tolles Handbuch mit Anleitung zu genau unserem Fall, für die andere Crew spielte Hr. Walusch dieses Handbuch. Eine wichtige Erkenntnis: Nicht alles was im Weg ist, muß auch einzeln zerlegt und abgebaut werden. Das Geheimnis lautet, Baugruppen zu identifizieren, die quasi als Kollektiv abgebaut und zur Seite  gelegt werden können. Eine weitere wichtige Erkenntnis: Bloß nicht eine einzige Schraube, Mutter oder U-Scheibe entfernen, ohne eine saubere Kennzeichnung des Teils. Und Achtung bei den Dichtungen, die sind noch empfindlicher als Frauen (Sorry, 2,5€ in die Machokasse) Ansonsten gibt’s ein Kuddelmuddel biblischen Ausmaßes - "Und Chaos war auf der Fläche der Erde“ (Genesis I, 1, 2). Da jede Gruppe der Motortraktierer aus mindestens 6 Personen bestand, konnten wir prima die verschiedenen Rollen (Schrauber, Anleitungsvorleser, Logistikmaster, Werkzeuganreicher usw.) verteilen und hatten nach kaum 2 Stunden unser Ziel erreicht. Da war Sie - die Zylinderkopfdichtung befand sich in Griffweite, die Kolben lagen in der Blöße ihrer Nacktheit vor uns (wurden aber nicht etwa rot vor Scham), die Kipphebelwelle lag einsam auf der Werkbank, in guter Nachbarschaft mit den Zündstöcken und mindestens einer Millionen Schrauben und Muttern (naja, fast...), nur die Stößelbecher hatten sich in dem unteren Teil des Motorblocks gut versteckt. Das war es also, das eine große Ziel erreicht. Wir sind bei dem Maximum der Möglichkeiten angekommen, die man mechanisch im Motorenbereich überhaupt an Bord noch erledigen kann. Also Bergfest. Die wohlverdiente Pause nutzen wir zur kritischen Reflektion. "Wäre dies auch möglich gewesen, auf einem im Hafen schwankenden Schiff?“, "Hätten wir soviel Platz und Licht wie hier?“, "Was wäre eigentlich mit den zwischenzeitlich auf den Boden gefallenen Teilen und Werkzeugen passiert?“, "Wie sieht das aus, wenn alles noch mit Öl und Diesel beschmiert erheblich glitschiger wäre“, "Wie viele Hände wir gebraucht haben, das klappt doch nie an Bord, schon wegen des Platzproblems“, usw. usw. ?

Eine kurze Phase der Ernüchterung folgte dem Erfolgsgefühl. "Nun ja, immerhin haben wir gesehen, daß es möglich ist.“, war einer der anderen Kommentare. Und, "ich habe jetzt meine Angst vor dem Anfassen der Maschine verloren.“, ein weiterer Pluspunkt. Noch mehr positive Stimmen folgten und wir kamen überein, daß dieser tolle Erfolg als solcher auch sicht- und bewertbar bleiben möge. Ohne abzuheben, - aber immerhin. Freitag abend davor hatten wir dies halt unser Leben lang noch nicht gemacht. Also: frischer neuer Mut und los geht’s mit dem Zusammenbau des jeweiligen Okkolüts. Da Crew 1 beim Auseinanderbau schneller war (die hatten auch das Handbuch) wollte jetzt Crew 2 beweisen, daß Ihr Engagement auch nicht ohne war. Und siehe da, der Zusammenbau ging tatsächlich ohne das Handbuch aber mit Hilfe vieler Köpfe etwas leichter...., aber vielleicht lag es auch nur an der wirklich störrischen Kipphebelwelle von Crew 1, daß sie etwas ins Hintertreffen gelangte. Jedenfalls wollten die Stößel lange Zeit partout nicht ihren dazugehörigen Einstellschrauben folgen. Nun, das gab uns genug Zeit, die Verfahrensweise zum Einstellen des Ventilspiels zu üben und mit Fühllehre, Schraubendreher und Ringschlüssel die exakte Position zu fixieren und - ganz wichtig - beim kontern auch zu halten ("Saugend, Schmatzend“).

Irgendwann war tatsächlich wieder alles an seinem Platz, die Motoren sahen im wesentlichen so aus wie vor unserem Traktat, Hr. Walusch war Happy, daß keine Schraube übrig war und wir alle waren auch froh, daß diese Übung so erfolg- und erkenntnisreich über die Bühne lief.

Was bleibt ist die Erkenntnis, daß Motoren echte Freude machen können, daß alles mechanische gar nicht so schwierig ist (bei richtiger Anleitung), wie manch einer vorher vermutet hat, daß gutes Werkzeug und Literatur essentiell sind und Hr. Walusch ein echtes Faktotum auf dem Gebiet des Humors ist - neben seinen nachgewiesenen technischen Fertigkeiten und pädagogischem Geschick. Ich denke, wir alle freuen uns auf die nächsten Diskussionen mit unseren Stegnachbarn über Hydraulikstößelbecher und Kolbenspaltmaß, richtigem Einsatz von Drehmomentschlüssel und der Bedeutung von richtigen Ölen im Bordeinsatz.

Ach so... und wir sollen ihn nicht morgens um 02:00 Uhr (MEZ) anrufen, wenn wir morgens in der Karibik das Ventilspiel eingestellt haben und die "eine“ Umdrehung nach dem Finden des Überschneidungspunkts vergessen haben ;-)